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Predigt aus der Predigtreihe zu den 8 Leitwerten am 11.10.2015 in Osterspai von Anja Bomhard über den Leitwert "Freundlich"

„Lasst einander also gelten und nehmt euch gegenseitig an, so wie Christus euch angenommen hat. Das dient zum Ruhm und zur Ehre Gottes.“
(Röm 15,7)

Unser Gott ist ein Gott der Beziehung. Entsprechend sollen liebevolle Beziehungen die Grundlage unseres Gemeindelebens sein. Dazu gehört für uns ein Klima der Gastfreundschaft, des Humors, der Fehlerfreundlichkeit und der gegenseitigen Annahme.
Notwendige Kritik soll möglichst offen und wertschätzend vermittelt werden. Wo dies nicht (mehr) möglich ist, suchen wir uns Begleitungen, die mit uns neue und gangbare Wege der Versöhnung suchen.
Da uns auch jene Menschen am Herzen liegen, die ein distanziertes Verhältnis zu Gott, Glaube und Gemeinde pflegen, versuchen wir, Besuchern und „Neuen“ in der Gemeinde in besonderer Weise mit einem offenen Ohr zu begegnen.

Liebe Gemeinde

„Seht Ihr den Mond dort stehen, er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehen.“

Die dritte Strophe des alten Liedes „Der Mond ist aufgegangen“ von Matthias Claudius enthält sehr viel Weisheit. „Er ist nur halb zu sehen, und ist DOCH rund und schön.“

Immer wenn ich dieses Lied singe, denke ich –das ist bei uns Menschen doch genauso! Auch von unseren Mitmenschen sehen wir jeweils nur einen Teil des Ganzen.

Tatsächlich bedeutet „nicht sehen“ oder „nicht wissen“ oft „nicht verstehen“. Und nicht verstehen mündet oft in Intoleranz, Missverständnissen und zwischenmenschlichen Ärger, oder,  wie Matthias Claudius schreibt, in Spott und Geringschätzung.

„Er ist nur halb zu sehen.“ Wir sehen von unseren Mitmenschen nur den halben Mond, auch, wenn wir sie gut kennen. Und nur einen Viertelmond vielleicht, wenn wir sie nicht gut kennen. Die Stimmung unseres Gegenübers,  Ängste, Krankheiten oder Schmerzen, Sehnsüchte und Hoffnungen, Erfahrungen –seien es gute oder schlechte –all das bleibt uns oft verborgen. Sie sind DER Teil des Mondes, den wir von Anderen NICHT sehen, der sich aber dennoch auf alles auswirkt, was wir mit dieser Person erleben. Und das macht das Menschsein eben oft so schwierig.

Was sehen wir?

Wir sehen Menschen, die sich uns und unseren Anliegen nicht oder zu sehr widmen. Wir erleben Menschen, die sich für uns manchmal seltsam, völlig überraschend oder gar verletzend verhalten. Und umgekehrt -wir ecken auch selbst manchmal bei anderen an, obwohl das gar nicht unsere Absicht war. Manchmal wollten wir einem Menschen sogar etwas Gutes und es schien partout nicht anzukommen, weil unsere Absichten für den Anderen vielleicht nicht erkennbar waren.

Wie oft wünschen wir uns aber auch, wir könnten die verborgene Seite unserer Persönlichkeit Anderen ZEIGEN. Zum Beispiel, wenn wir jemanden sehr lieben und dieser Jemand stets und ständig in unseren Gedanken ist. Wenn wir stolz AUF und voller Liebe ZU dieser Person sind. Dann wünschen wir uns doch, dass dies für den Anderen ganz SICHTBAR wäre. Leider geht das nicht. Schade!

Gott hingegen sieht den ganzen Mond, in jeder Person. Er weiß alles über dich und mich. So haben wir vorhin in den Worten des Psalm 139 gebetet:

„Herr, du erforschest mich und kennest mich. Du siehst alle meine Wege. Wohin soll ich gehen vor deinem Geist? Erforsche mich Gott, und erkenne mein Herz. Prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.“

Der Gedanke, dass Gott alles von uns weiß, alles von uns sieht und hört und all unsere Gefühle kennt, ist vielleicht seltsam und komisch für uns. Es gibt sicherlich auch Seiten in uns oder Gedanken, die wir gerade Gott nicht zeigen wollen würden. Tja.

Er sieht den ganzen Mond von uns. Da gibt es keine Missverständnisse oder Fehlinterpretationen –Gott weiß immer, wie unser Tun gemeint ist. „Prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine.“

Ich glaube, dass gerade, WEIL Gott alles von uns sieht, es einfacher für ihn ist, uns zu lieben, zu führen, immer zu uns zu stehen. Wir haben doch immer einen guten Grund für unser Tun, oder? Und Gott kennt all diese Gründe.

Dazu schreibt Paulus im Römerbrief im 15. Kapitel [Röm 15,1-7]:

1 Wir aber, die wir stark sind, sollen das Unvermögen der Schwachen tragen und nicht Gefallen an uns selber haben.
2 Jeder von uns lebe so, dass er seinem Nächsten gefalle zum Guten und zur Erbauung.
3 Denn auch Christus hatte nicht an sich selbst Gefallen, sondern wie geschrieben steht (Psalm 69,10): »Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen.«
4 Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.
5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß,
6 damit ihr einmütig mit "einem" Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.

Und zum Schluss sagt Gottdurch Paulus in Vers 7: „Nehmt einander an, wie Christus Euch angenommen hat.“

Das ist eine echte Herausforderung, denn wir haben ja nun wirklich nicht dieselben Voraussetzungen. Der Text, aus dem die Jahreslosung 2015 entnommen wurde, sind Paulus Worte, gerichtet an die römische Gemeinde. Wie treffend, dass wir diesen Text als Basis eines unserer Werte,  nämlich „Freundlich“ her genommen haben. Paulus wirbt im Kapitel 15 seines Römerbriefs für ein freundliches Miteinander mit Juden und sogar mit den Heiden. Merken wir was?
Schon damals schien es eine besondere Herausforderung zu sein, mit dem Fremd- und Andersartigen gut zusammen zu leben.

Das Spannungsfeld aus dem, was andere an uns wahrnehmen und dem, was tatsächlich in uns ist, was wir eigentlich gemeint haben -das geschieht überall, wo Menschen aufeinander treffen –natürlich auch im gemeindlichen Zusammenleben:

In unserer Gemeinde gibt es sehr viel ehrenamtliches Engagement. Da arbeiten eine Menge Leute mit viel Herzblut in ihrer Freizeit an Themen, die ihnen wichtig sind. Und je wichtiger uns Dinge sind, umso empfindlicher sind wir, wenn mal kritische Stimmen zu hören sind oder wir nicht die Wertschätzung erfahren, die wir angemessen gefunden hätten.

Oft sieht man auch im gemeindlichen Kontext von außen betrachtet nur einen Teil des Ganzen –dafür gibt es unzählige Beispiele:

Der Gemeindebrief oder die neue Internetpräsenz zum Beispiel. Ein bisschen Text, ein paarbunte Bildchen, ein paar Informationen –die wenigsten sehen, wieviel Mühe darin steckt.

Oder ein, zwei Lieder im Gottesdienst gespielt oder gesungen von einem unserer Chöre oder der Lobpreisband. Ein paar Minuten Präsentation, viele Stunden Arbeit zuvor. Und gemeckert ist schnell.

Der Kuchenbasar auf dem Weihnachtsmarkt. Der Küster, der auch mal dieses oder jenes tun könnte –und es wird übersehen, wieviel seiner Zeit & Mühe grad in ein anderes Projekt der Gemeinde geflossen ist.

In einer Kirchengemeinde gibt es jede Menge Dinge, über die man sich streiten könnte. Dinge, die getan oder nicht getan werden. Sätze, die gesagt oder nicht gesagt werden.

Und nun heißt unser Gemeindewert „Freundlich“.

Wie geht das denn, freundlich zu sein?

Ich glaube, in dem wir versuchen, unsere Mitmenschen ein bisschen mehr mit Gottes Augen zu sehen. Das hilft im Umgang mit allen Menschen –Mitchristen, Menschen anderer Religionen, Menschen ohne Religion, Menschen, die uns ärgern oder verletzen.

Die Basis für Freundlichkeit ist meiner Ansicht nach:

Davon auszugehen, dass alle Menschen gute Gründe für Ihr Handeln und Reden haben, selbst wenn uns diese nicht sofort erkennbar sind.
Freundlich sein heißt, davon auszugehen, dass die Menschen um uns herum gute Gründe für Ihr Handeln und Reden haben, selbst wenn uns diese nicht sofort erkennbar sind.

Wenn wir das für uns wirklich mal durchbuchstabieren, fällt es uns leichter, Andere in ihrer Andersartigkeit zu akzeptieren und Fremde willkommen zu heißen.

Und man kann sich den verborgenen Teil seines Gegenübers sogar ein Stück weit erschließen. Durch Reden! Miteinander reden, sich erklären, anderen Gelegenheit geben, ihren Standpunkt und Hintergrund darzulegen und im Falle des Falles auch freundlich miteinander zu streiten –all das lässt uns mehr voneinander wissen und ein größeres Verständnis für einander aufbringen.

Dadurch kann es uns gelingen, mit unserer Gemeinde humorvoll auf unterschiedlichen Pfaden in dieselbe Richtung zu gehen. Unsere Richtung gibt uns Christus vor, wir folgen ihm nach.

Zusammengefasst auf unser menschliches & gemeindliches Miteinander heißt das:

Nimm das, WAS DU SIEHST und geh davon aus, dass sich in DEM, WAS DU NICHT SIEHST, ein guter Grund verbirgt, für alles Handeln, was du nicht verstehst.

Nimm die Menschen, die Du nicht verstehst, an, wie Christus Dich angenommen hat.

Denn: „Sie sind nur halb zu sehen, und sind doch gut und schön.“

Amen

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