Predigt aus der Predigtreihe zu den 8 Leitwerten am 20.09.2015 von Pfr. Markus Bomhard über den Leitwert "Lebendig"
„Der Geist ist's, der lebendig macht.“
(Joh 6,63)
Das Christentum ist keine Privatreligion, sondern lebt von wertschätzender Gemeinschaft. In diesem Sinne halten wir es für essenziell, sich Jesu lebendigem und Leben schenkendem Geist zu öffnen. Dass sein Geist in uns wirkt, erleben wir sowohl in unseren zahlreichen Gemeindegruppen als auch in unseren vielfältigen Gottesdiensten, die verschiedenste Altersgruppen miteinander verbinden und so manches Mal von Gemeindegruppen aktiv mitgestaltet und geleitet werden.
Wir sind überzeugt, dass Gottes Lebendigkeit unser ganzes Leben umfassen will und daher keine einheitliche Form der Anbetung erfordert. Unser Gebet darf Ausdruck dessen sein, was uns bewegt und vor Gott sein darf. Das gleiche gilt für unsere altersübergreifenden Feste, Ausflüge, Events, Mitarbeitertreffen und gastfreundlichen Abende. Gott nimmt unser Leben immer ganz wahr.
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn man sich bewirbt, dann muss man in der Regel einen Lebenslauf anfügen, damit der neue Arbeitgeber sehen kann, was man so alles im Leben gemacht hat.
Da gehören neben dem Namen und die Adresse, Alter und Familienstand, ggf. die Kinder hinein, aber eben auch die Qualifikationen, die einen als potentiellen Mitarbeiter ausmachen. Man will ja „gut“ vor dem neuen Chef dastehen.
Dinge, die eher nicht in einem Lebenslauf auftauchen, sind so Sachen wie Schulabbrüche, schwere Krankheiten, Burnout und Lebensmüdigkeit, Abbrüche von Beziehungen, Schicksalsschläge. Vermutlich sind das alles Dinge, die einen nicht als qualifiziert, stark und wertvoll darstellen lassen. Sondern als anfälliges Geschöpf (Was wir ja durchaus auch sind.)
Seltsamerweise kommen aber auch Glücksmomente, erfüllte Liebe, und Träume, gestillte Sehnsucht, Lachen und Genuss in eine Lebenslauf nicht vor, obwohl als das doch schöne und ermutigende Dinge sind.
Und dabei sind es doch gerade die schweren und traurigen Erlebnisse, die glücklichen und zufriedenen Momente, die unser Leben reich und bunt machen. Die es zu dem machen, was es ist: Das Leben.
Ja, ich behaupte: Wer sein Leben nur in Zahlen festhalten kann oder wessen Lebensereignisse nur eine Aneinanderreihung von chronologischen Fakten ist, der lebt nicht wirklich, sondern ist nur ein Datenblatt, ein einlesbarer Barcode –aber nicht mehr.
Denn das Leben ist unberechenbar, nicht planbar, nicht gradlinig sondern bunt, facettenreich –eben lebendig, weil Gott uns seinen Geist schenkt, der lebendig macht. (Joh 6,63) Und Gottes Geist weht, wo und wie er will.
Warum kommt dann diese Fülle, die doch unser Leben zu dem macht, was es ist, nicht in einem Lebenslauf vor?
Warum wollen oder können wir dort nicht wirklich sagen, wer wir sind?
Warum beschränken wir uns auf ein paar wenige Fakten, die uns vielleicht nicht wirklich oder nicht mehr so stark ausmachen?
Wen interessiert zum Beispiel heute noch groß, wie meine Abinote 1990 aussah?! Niemanden! Aber ob ich durch meine Therapieausbildung Menschen anders begleite, anders auf sie zugehe, ihnen anders zuhöre, dass gehört durchaus zur Lebendigkeit in meinem Leben.
Ebenso macht meine Lebendigkeit aus, ob mich ein Film zu Tränen rühren kann oder das Schicksal von Flüchtlingen, ob ich mich über die Eier unserer Hühner freue oder über die Taufe von Noah.
Es macht mein Leben aus, dass ich kein Stein bin, emotionslos, gedankenlos, gefühlslos und ... geistlos.
Jesus sagt: „Gottes Geist ist es, der lebendig macht.“
Daher freut es mich, wenn wir in unseren neuen acht Leitsätzen auch festhalten, dass wir eine lebendige Gemeinde sind.
Eben eine, die sich nicht allein durch Zahlen und Fakten auszeichnet, sondern durch Lebendigkeit. Für uns ist nicht allein entscheidend, wie viel Gemeindeglieder wir haben, wie viel zum Gottesdienst kommen, wie viele Gruppen wir haben, wie viele ehrenamtliche Mitarbeiter usw.; das ist zwar alles spannend -besonders für die Statistiken der Landeskirche, für Zuweisungen von Kirchensteuermitteln und für Pfarrstellenbesetzungen- aber es zeichnet uns nicht allein aus.
Uns zeichnet vielmehr aus, dass wir von einer wertschätzenden Gemeinschaft ausgehen und damit klar nach außen sagen: Das Christentum, dass wir als Gemeinde leben wollen, ist keine Privatreligion. Nichts für das stille Kämmerlein. Sondern eines, das sich dem Gegenüber zuwendet.
Es ist kein Konstrukt, wo wir bestimmte Lebensfaktoren bewusst verschweigen, weil sie jemandem nicht gefallen könnten.
Im Sinne Jesu wollen wir es genau anders herum halten: Das von geschenkte Leben in aller Fülle annehmen und miteinander teilen.
Dazu gehört eben die Freude. Dazu gehört die Dankbarkeit. Dazu gehört das Lachen. Dazu gehört aber auch die Trauer, die Scham, die Schuld, der Verlust, der Schmerz.
Nur wenn wir für alle Facetten des Lebens offen sind und zulassen, was ist, nur dann werden wir Jesu lebendigen und Leben schenkendem Geist spüren können. Wer einen Teil des Lebens abschneidet, wird auch nicht erfahren können, wie Gott hier wirkt. Auch als Gemeinde nicht.
Unser Gott ist kein Gott, der nur nach Höhepunkten im Leben fragt. Keiner, der danach schaut, was wir alles geleistet haben, wo wir klasse sind, wie in einem Bewerbungsgespräch. Keiner, der erst nach bestandenem Assessmentverfahren zu uns sagt: „Du darfst an meiner Seite bleiben.“
Er ist vielmehr ein Gott, der die Fülle unseres Lebens sieht, die Höhen und Tiefen, die Enge und die Weite. Gerade weil er diese Facetten kennt, sagt er: „Du bist mein geliebtes Kind. Ich habe dich in dieses Leben hineingeliebt. Du gehörst zu mir.“
Entsprechend höre ich auch den Wunsch Gottes an uns als Gemeinde: Dass wir ebenso diese Fülle, diese Lebendigkeit in den Blick nehmen sollen mit allen Höhen und Tiefen. Nur, wenn wir das machen, werden wir auch das große Geschenk von Gottes Geist real spüren können.
Dass sein Geist zum Beispiel in uns wirkt, erleben wir sowohl in unseren zahlreichen Gemeindegruppen als auch in unseren vielfältigen Gottesdiensten, die verschiedenste Altersgruppen miteinander verbinden und so manches Mal von Gemeindegruppen aktiv mitgestaltet und geleitet werden. Nächste Woche zum Beispiel von den Jugendlichen des TeenTowers.
Dass sein Geist wirkt, bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht mehr in die Wolle bekommen, dass immer alles Friede, Freude, Eierkuchen ist, dass wir uns immer super verstehen.
Nein, genau das Gegenteil gehört auch zur Lebendigkeit. Aber wenn wir es zulassen und nicht wegdrücken, sondern ansprechen, kann Neues erwachsen.
Wie heißt es darum in einem der anderen Leitsätze: „Wir wollen uns darin üben, von den Möglichkeiten Gottes –und nicht nur von unserer eigenen begrenzten Wirklichkeit –her zu denken und zu handeln.“
Ja, Gottes Lebendigkeit will unser ganzesLeben umfassen. Gott nimmt unser Leben immer ganz wahr.
Und dafür stehen auch die verschiedenen Gottesdienste, wie wir sie feiern. Da darf ein klassischer Morgengottesdienst, der uns erdet, anders sein als der Doppelpunkt, der den Lobpreis in der Mitte hat, und wiederum anders als die auszeit, die gezielt zur Ruhe aufruft.
All diese verschiedenen Gottesdienst nehmen verschiedene Lebensmomente in den Blick. Und das ist gut so.
Daher sagen wir als Gemeinde bewusst: Anbetung kennt keine einheitliche oder verbindliche Form. Unser Gebet, unser Leben mit Gott, darf Ausdruck dessen sein, was uns bewegt. Was ist, darf vor Gott sein, und was vor ihm sein darf, kann sich auch verändern. Dafür schenkt Gott seinen Geist.
Amen