Aktuelles zur Geschichte der Barbarakirche basierend auf der bauhistorischen Voruntersuchung von Dr. Hans-Hermann Reck, Wiesbaden, Februar 2019
In diesem Bericht beschreibt Dr. Reck in der Einführung kurz das Gebäude und geht dabei besonders auf den Chorraum ein. Dieser ist wohl in mehreren Zeitabschnitten umgebaut worden. Während die Grundpfeiler des Gewölbes mit ihren plumpen Kapitellen noch romanisch wirken, können die einfach gekehlten Rippen frühestens um 1300 entstanden sein. Die großen Spitzbogenfenster stammen aus der späten Gotik, aus dem 15. oder frühen 16. Jahrhundert.
Das Kirchenschiff misst dreizehn mal zehn Meter. Die Fenster zeigen in ihrer Form gotischen sowie frühneuzeitlichen Stil.
Der Glockenturm ist der nordwestliche Turm der Stadtbefestigung. In der Grundfläche misst er neun mal achteinhalb Meter, in der Höhe 24 Meter plus der Turmspitze von 20 Meter. Während der Rundbogenfries unter dem obersten gemauerten Geschoss auf das 14.Jahrhundert deutet, entstand die Turmspitze in der jetzigen Form in der Barockzeit. Der Gebäudeteil, der jetzt als Treppenhaus dient, wurde als letztes Bauteil zwischen Turm und Kirchenschiff errichtet.
Weiter fasst Dr. Reck den Stand der Forschung bis zum Beginn der Untersuchung zusammen. 1984 wurde im Dehio-Handbuch , folgendes notiert:
Begonnen wahrscheinlich nach Erhalt der Stadtrechte 1276. Als Westturm dient, in die Nordwestecke des Schiffs einspringend, ein mächtiger frühgotischer Stadtturm mit Haube und hohem Spitzhelm des 17. Jh. Flachgedecktes Schiff 14. Jh. Frühgotischer einjochiger Chor mit 3/8-Schluss; abgetreppte Strebepfeiler, Kreuzgewölbe, die gekehlten Rippen auf Eckdienten mit schlichten Kapitellen; Fenster mit Maßwerk des 15. Jh. Über dem Chor ein Fachwerkgeschoss, wohl 17.-18. Jh. An der Südseite gotische Sakristei.
Hellmuth Gensicke fügte in seiner „Geschichte der Stadt Braubach“ 1976 noch folgende Daten hinzu:
Sockel der „Welschen Haube“ 1688 gezimmert, Turmspitze um 1710, Bauarbeiten am Chor 1430 und 1520. Den Mittellängsunterzug der Kirchenschiffsdecke hält Gensicke für zeitgleich mit den 1581 datierten Emporen. Der Erweiterungsbau zwischen Turm und Kirchenschiff soll 1678 errichtet worden sein. Eine dendrochronologische Datierung des Turms wurde durch Lorenz Frank, Mainz 2007 im Auftrag der Landesdenkmalpflege durchgeführt und durch das Jahrringlabor Hofmann, Nürtingen datiert. Es ergab für die Deckenbalken des dritten Obergeschosses sicher eine Fällungszeit in der Wachstumspause (Winter), der Jahre 1382/83. Der Turm dürfte also in der ersten Hälfte der 1380er Jahre, mehr als hundert Jahre nach der Stadtrechtsverleihung entstanden sein.
Im Vorfeld der Sanierung der Barbarakirche wurde am 6.11.2016 durch die Kirchengemeinde eine bauhistorische Voruntersuchung im Istzustand beauftragt. Am 1.6.2016 fand ein erster Durchgang zur Aufnahme der Befunde statt. Es musste jedoch erst der Rückbau des Jugendraums und die Freilegung wesentlicher Teile des Dachraums, sowie die entsprechende Änderungen in den, durch das Vermessungsbüro Buchholz, Koblenz, angefertigten Plänen abgewartet werden. Die zweite Untersuchung durch den Bauhistoriker fand am 25.9.2018 statt. Die bei beiden Durchgängen entnommenen 14 Bohrkerne wurden wieder durch das Jahrringlabor Hofmann, Nürtingen durchgeführt. Durch die erst während der Ausarbeitung des Berichtes entdeckten ausführlichen Informationen von Hellmuth Gensicke erforderten eine weitere Entnahme von fünf Bohrkernen, die am 15.1.2019 entnommen, und durch das gleiche Labor untersucht wurden.
Ergebnis der Voruntersuchung: Die Baugeschichte im Dehio-Handbuch kann weitgehend nicht bestätigt werden, die Ausführungen von Dr. Gensicke stimmen jedoch weitgehend mit den Untersuchungen überein. Lediglich die Aussage, „die Kirche wurde 1276 als neue Stadtkirche unmittelbar an die Stadtmauer errichtet“, ist unzutreffend. Das Dachwerk über dem Kirchenschiff ist aus Tannenholz gezimmert, welches wohl als Floßholz aus dem Schwarzwald kam und im Winter 1263/64 gefällt wurde. Es wurde also, wenn man Transport und Zwischenlagerung hinzu zählt, im Jahr 1265, spätestens 1266 eingebaut. In diese Zeit passen auch die Spitzbogenfenster in der Nordwand des Kirchenschiffs. Die Grundzüge des Chors dürften ebenfalls aus dieser Zeit stammen. Die gekehlten Gewölberippen des Chors, können nicht schon in dieser Zeit entstanden sein, möglicherweise wurde das Gewölbe, zusammen mit den Maßwerkfenstern in der Spätgotik eingebaut. Laut Gensicke wurden die Jahre 1430 und 1520/21 als Umbaudaten angegeben, für letzteres Datum wird das Chordach explizit genannt. Die Eichenbalken des Fachwerkgeschosses oberhalb des Chors werden dendrochronologisch auf das Jahr 1521 datiert. Zu dieser Zeit wurde wohl auch das Chordach angehoben. Dass das alte Chordach einen Winkel von 45Grad hatte, kann man noch an einem Anschlag am Ostgiebel des Schiffes sehen. Das Dach des Fachwerkstockwerks wurde wahrscheinlich nach einem Wolkenbruch 1875 erneuert, das Fichtenholz dazu wurde kurz nach 1872 geschlagen. Die flache Decke des Schiffs wurde anfangs wohl durch auf die Dachbalken gelegten Bretter gebildet. Später wurde, wie in fast allen mittelalterlichen Kirchendecken, die Balkenfelder durch Lehmwickel geschlossen. Später wurden neben den Dachbalken zusätzliche Balken verlegt. Dadurch wurde ein Längsunterzug erforderlich, der zusammen mit einem mittig angebrachten Hängesprengbund, die nun erhöhte Last des Gebälks tragen musste. Ein nicht vollständiger Bohrkern endet mit dem Jahr 1577 und macht die Datierung des Längsbalkens lt. Gensicke mit 1581 wahrscheinlich. Eine weitere Untersuchung eines Sparrens bestätigt die, ebenfalls von Gensicke angegebene südwestliche Erweiterung des Schiffs im Jahre 1678. Der gemauerte Teil des Turms ist durch Baufugen deutlich vom Schiff getrennt, und nach der im Jahre 2007 durchgeführten dendrochronologischen Untersuchung in der ersten Hälfte der 1380er Jahre erbaut worden. Das oberste Geschoss hat an jeder Seite zwei große Rundbogenöffnungen, die durch Schartenläden verschlossen werden konnten. Die Kloben für diese Läden sind beiderseits der Öffnungen in Basaltsteine eingelassen.
Der untere, geschwungene Teil des Dachs stammt aus dem Jahr 1688 und das Steildach aus dem Jahr 1710. Die Spanten des unteren Dachstuhls lehnen sich noch an die Reste des mittelalterlichen Dachs, das noch ein Stockwerk hoch erhalten ist. Dessen Nadelholz wurde 1405/1406 gefällt und möglicherweise 1407 verarbeitet. Die Reste des mittelalterlichen Dachs lassen sich als Satteldach mit 79Grad Neigung mit 3,6m langem First in der Höhe des heutigen Dachs darstellen. In Dillichs Stich des Mittelrheintals bei Braubach, in der Hessischen Chronica aus dem Jahr 1605 ist dieses Dach zu sehen, allerdings mit falscher Firstrichtung. Das Bild zeigt an den vier Ecken jeweils ein Wichhäuschen. Diese Wichhäuschen wurden 1688 zusammen mit den Aufschieblingen entfernt und durch geschwungene Aufschieblinge mit integrierten Zwerchhäusern ersetzt. Nach 1700 wurde das Mittelalterliche Satteldach in Stockwerkshöhe abgeschnitten und das achtseitige Zeltdach aufgesetzt.
Schartenläden: Klappläden, die Maueröffnungen gegen feindlichen Beschuss verdecken und horizontal hochgeklappt werden, um so angreifende Truppen, die sich unterhalb des Verteidigers befinden, ohne eigene Gefahr attackieren zu können.
Aufschieblinge: dienen zur Verlängerung der Dachsparren, um den Dachbelag auch über den überstehenden Deckenbalken fortführen zu können.
Wikipedia: Ein Wichhäuschen ist ein Ausbau der Dachschräge oder einer Ringmauer, der für einen Wachtposten Platz schuf. Es diente hauptsächlich im Mittelalter überwiegend der Beobachtung, seltener der Verteidigung. Wichhäuschen finden sich auf Kirchtürmen, Türmen von Burgen und Schlössern und auf den Mauern und Türmen von Stadtbefestigungen.
Das Zwerchhaus (bzw. die Lukarne) ist ein ein- oder mehrgeschossiger Aufbau eines geneigten Daches. Es hat einen Giebel und ein eigenes Dach. Bei einer Ausführung als Zwerchhaus kann das entsprechende Gebäudeteil aus der Fassade hervorspringen. Dadurch unterscheidet sich das Zwerchhaus von der Gaube, die unabhängig von den Außenwänden auf dem Dach positioniert ist.
Das Dehio-Handbuch ist ein im Auftrag des deutschen Tags der Denkmalpflege von 1900 geschaffenes Verzeichnis der kunsthistorisch bedeutendsten Kunstdenkmäler und ihrer Ausstattung im deutschsprachigen Raum. Autoren: Georg Dehio und Ernst Gall